
Zwei Leben, eine Leidenschaft: Pascal Christen reist an die Paralympics
von Jule Seifert
Grosses Ziel erreicht: Pascal Christen aus Kriens nimmt an den Paralympischen Spielen teil.
Vor drei Jahren konnte sich Pascal Christen noch nicht vorstellen, dass sein Niveau reichen würde, bei den Paralympics in Peking mitzufahren. Doch dann ging alles sehr schnell, der Monoskibobfahrer machte grosse Fortschritte.
Sein erstes Monoskibob-Rennen bestritt Christen vor vier Jahren. Es folgten erfolgreiche Europa-Cup-Rennen, 2021 bereits erste Erfolge im Weltcup. «Ich habe den Anschluss an die Weltspitze gefunden, mehrere Top10-Klassierungen eingefahren und mich damit für das Highlight jeder Sportlerkarriere qualifiziert, da kann ich nur zufrieden sein», sagt er über die aktuelle Saison. «Ich bin fit, gesund und parat.»
Die Weltmeisterschaften in Lillehammer im Januar waren sein erster Grossanlass und die Hauptprobe für China. Neben drei Ausfällen klassierte er sich zweimal unter den besten Zehn. «Die Stürze und Ausfälle gehören im Skirennsport dazu, umso mehr bei den Monoskibobfahrern. Gerade bei windigen Bedingungen oder einer unebenen Piste ist es für sitzende Skifahrer schnell sehr schwierig», erklärt der 29-Jährige.

«Ich habe mit dem Unfall eine Chance bekommen»
Der Nidwaldner hat, wie er sagt, zwei Leben: ein altes, vor dem Mountainbike-Unfall in Kanada und ein neues Leben nach dem Sommer 2016. Christen geht offen mit seinem Unfall um, darüber zu reden hat ihm bei der Verarbeitung geholfen. «Zunächst konnte ich mir nicht vorstellen, welchen Grad an Veränderung die Diagnose Paraplegie mit sich bringt. Es betrifft alle Lebensbereiche: Man muss wieder lernen sich anzuziehen, aufs WC zu gehen oder Auto zu fahren, aber auch dass die Menschen mit einem anders umgehen.»
Im ersten Leben nutzte Christen jede freie Minute zum Mountainbiken und Ski fahren. Sein zweites Leben wollte er zunächst nutzen, um sich in anderen Dingen weiterzuentwickeln: «Ich habe in dem Unfall eine Chance gesehen, nochmal von vorne anzufangen, jedoch mit einer 24-jährigen Lebenserfahrung.» Trotz der Überlegung weniger Sport zu machen, den Sportleiter in der Reha fragte er gleich, wann er wieder Ski fahren gehen könne. «Skifahren wollte ich wieder machen, das wusste ich. Das war keine Frage.»
Noch während der Reha ging es auf die Piste. Der erste Skitag im Monoskibob war schön, aber schwierig. Es war genau die Herausforderung, die er gesucht hatte. «Wenn es zu einfach gewesen wäre, würde ich es heute wohl nicht mehr machen», sagt Christen. Er merkt, der Sport gehört zu seinem Leben. Der Sport war und bleibt seine Leidenschaft. «Der Ansporn ist, dass man jeden Tag an sich arbeiten und neue Aufgaben bewältigen kann. Jede Behinderung ist anders: Ich muss kreativ sein, sei es beim Material oder beim Training.»
Zwischentitel: Bei den Paralympics will er Erfahrungen sammeln/ Christen will zu den Top-5-Fahren der Welt gehören
Christen hat zwei Leben, doch der Charakter einer Person, ändere so ein Unfall nicht. Er sei reifer geworden, der Realist ist er geblieben. «Es ist eine Einstellungsfrage: Will ich das sehen, was noch geht oder das, was nicht mehr geht?» Er fährt Wasserski, springt auf dem Trampolin und ist Profisportler. Christen will zu den Weltbesten gehören, dafür pausierte der Grafiker sein Studium. Mit Crowdfunding, seinen Sponsoren und der Spitzensportförderung der Schweizer Armee konnte er sich im letzten Jahr ganz auf den Sport konzentrieren. «Jetzt oder nie, sonst würde ich das später bereuen. Wenn ich zu den Top-Fahren der Welt gehören will, muss ich alles auf den Sport setzten.» Die zunehmende Professionalität zeige sich vor allem am gesteigerten Trainingsvolumen und der engeren Betreuung. Weiter bekomme so auch die Regeneration und die mentale Vorbereitung den verdienten Stellenwert.
Bei den Paralympics startet Christen in allen fünf alpinen Disziplinen. Seine aktuell stärkste Disziplin ist der Riesenslalom. «Primär geht es darum Erfahrungen zu sammeln. Ich bin noch neu im Sport und noch nicht dort, wo ich sein will und auch sein kann», sagt er über seine Erwartungen an Peking. Der aggressive Kunstschnee liegt ihm weniger, in der Trainingswoche in China geht es deswegen darum möglichst schnell das passende Material für diesen speziellen Schnee zu finden. Denn wenn alles zusammenspielt und Bedingungen passen, könnte ein Diplom drin sein. Am Wochenende hat er mit der Abfahrt und dem Super-G seine ersten Wettkämpfe. Am Start wird er sich auf das Rennen zu fokussieren, aber auch lächeln. «Lächeln ist aerodynamischer», sagt er und lacht, «Ich versuche Freude zu habe, es ist ein grosses Privileg, wie ich leben darf. Mit Freude geht alles einfacher, im Skisport und generell im Leben.»
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